07
Dezember
2020
|
14:00
Europe/Amsterdam

Den Blick stets nach vorn

A. Lange & Söhne feiert in diesem Jahr gleich zwei Ereignisse: zum einen das 175-jährige Jubiläum der Glashütter Feinuhrmacherei, für die 1845 Ferdinand Adolph Lange den Grundstein legte, zum anderen das 30-jährige Jubiläum des Neubeginns, den Walter Lange im Jahr der Wiedervereinigung wagte.

„Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht immer noch geschwinder als jener, der ohne Ziel herumirrt.“ Ob dieser Aphorismus von Gotthold Ephraim Lessing dem Uhrmacher Walter Lange durch den Kopf ging, als sich ihm 1990 mit der Wiedervereinigung die Möglichkeit bot, eine Uhrenmanufaktur in Glashütte neuzugründen? Denn dieser Traum hatte den Urenkel Ferdinand Adolph Langes, damals bereits 66 Jahre alt und im wohl verdienten Ruhestand, niemals ganz losgelassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er schwer verletzt wurde, hatte der junge Meisteruhrmacher noch tatkräftig beim Wiederaufbau der durch Bomben zerstörten Werkstätten geholfen, bevor dann im Jahr 1948 das Unternehmen, das von seinem Urgroßvater gegründet worden war, in der sowjetischen Besatzungszone enteignet wurde.

In einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstags im Jahr 2014 erinnerte sich Walter Lange an jene unsichere und entbehrungsvolle Zeit, als sein Vater Rudolf und dessen Brüder Otto und Gerhard ihre Manufaktur leiteten: „Mit meinem Vater und Onkel Otto habe ich viel diskutiert, wie es mit dem Unternehmen weitergehen sollte. Wir begannen mit der Entwicklung des Kalibers 28 für eine Armbanduhr, aber ehe es in Serienproduktion gehen konnte, wurden wir enteignet und durften das Haus nicht mehr betreten.“ Und es kam noch schlimmer: Nachdem er den Eintritt in die Gewerkschaft abgelehnt hatte, musste er damals über Nacht alles zurücklassen und nach Westdeutschland fliehen, um der Zwangsverpflichtung im Uranbergbau bei der Wismut zu entgehen. Ein Schicksal, das er mit vielen anderen teilte, und eine einschneidende Erfahrung, die ihn prägte, aber niemals von seinem Vorhaben abkommen ließ. So reiste der Uhrmacher ab Mitte der 1970er-Jahre regelmäßig ins Erzgebirge, um den Kontakt zu den Menschen in seiner Heimat aufrechtzuerhalten. 

Der 7. Dezember, ein geschichtsträchtiger Tag

Den ambitionierten Neustart datierte Walter Lange just auf den gleichen Tag im Dezember – 145 Jahre zuvor hatte Ferdinand Adolph Lange nach ausgiebigen Lehr- und Wanderjahren im Ausland mit Stationen bei einigen der bedeutendsten Uhr- und Chronometermachern die erste Uhrmacherwerkstatt in Glashütte eingeweiht. Damit hatte er nicht nur den Grundstein für die bereits wenige Jahre später florierende und weltweit für ihre hohe Präzision und exzellente Qualität anerkannte sächsische Uhrenindustrie gelegt, sondern auch für den Aufschwung der Region gesorgt.

Durch die rasant steigende Nachfrage nach präzisen Zeitmessern für den Einsatz in Wissenschaft, Forschung, Medizin und Wirtschaft ergab sich eine beinahe märchenhaft anmutende Erfolgsgeschichte. Nicht nur sein eigenes Unternehmen wuchs beständig: Mit der Zeit siedelten sich immer mehr Manufakturen und Spezialwerkstätten an, die sich auf die Herstellung aller Uhrenkomponenten verstanden. Unter der Ägide von Ferdinand Adolph Lange wandelte sich die Stadt, der er 18 Jahre lang als Bürgermeister vorstand, zu einem autarken Wirtschaftsstandort, der sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze bot und den Glashüttern bescheidenen Wohlstand brachte. Er unterstützte auch die Ansiedlung talentierter Kollegen wie Julius Assmann, dessen preisgekrönte Taschenuhren ebenfalls Maßstäbe bei der Präzision setzten. Ihre besondere fachliche Kompetenz und ihr unermüdlicher Fleiß griffen ineinander wie ein präzise berechnetes Räderwerk und bestellten den Boden für den wirtschaftlichen Aufschwung. Ferdinand Adolph Langes Betrieb, dessen Belegschaft selten 100 Beschäftigte überstieg, blieb im Wandel der Jahrzehnte gleich einer Unruh der Taktgeber und das pulsierende Herz der deutschen Feinuhrmacherei. Mit der von Karl Moritz Großmann 1878 gegründeten Deutschen Uhrmacherschule stellte man sicher, dass das hochspezialisierte Wissen auch an die folgenden Generationen weitergegeben wurde. Viele der talentiertesten Uhrmacher jener Zeit wurden in dem imposanten Gebäude im Stadtzentrum von Glashütte ausgebildet und schrieben später die Erfolgsgeschichte der Uhrenstadt fort.

 Erfolgreicher Neubeginn

Als sich durch die Wiedervereinigung die Chance auf einen Neubeginn bot, zögerte Walter Lange nicht eine Sekunde. „Der 7. Dezember 1990 gehört zu den bedeutendsten Tagen meines Lebens“, erinnerte er sich in einem Interview. Damals meldete er die Lange Uhren GmbH an, „mit der geborgten Postadresse einer früheren Klassenkameradin. Das war ein Risiko, aber für mich der einzig richtige Weg! Schon die Familientradition gebot mir, nach Glashütte zurückzukehren und wieder die besten Uhren der Welt zu bauen. Genau wie mein Urgroßvater wollte ich den Menschen hier in einer schwierigen Zeit Arbeit und Perspektive geben.“

 Die Parallelen der Geschichte sind in der Tat verblüffend. Wie im Jahr 1845 hätte die Herausforderung kaum größer sein können. War Glashütte zu Gründerzeiten ein verarmtes Städtchen in einem strukturschwachen Winkel Sachsens, wo Ferdinand Adolph Lange aus dem Nichts eine Werkstatt aufbaute, galt es bei der Neugründung, die technisch vollkommen überholte, auf sozialistische Massenproduktion ausgelegte Herstellung wieder auf jenes Niveau der Feinuhrmacherei zu heben, für das die Stadt im Müglitztal einst weltberühmt war. Sicher, die Zeit war damals von einer Aufbruchsstimmung geprägt, doch die Herausforderung war enorm. Wie fast alle Industriezweige konnte das Kombinat der Glashütter Uhren- und feinmechanischen Industrie, das während der Zeit hinter dem Eisernen Vorhang mit 2.500 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in der Region war, nicht mit den westlichen Konkurrenten mithalten. Das Vermächtnis der wettbewerbsunfähigen Planwirtschaft wog schwer, ebenso die Entscheidungsmacht der Treuhandanstalt, die die rasche Privatisierung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität vorantrieb. Die neue politische und wirtschaftliche Ordnung brachte große Veränderungen für Glashütte, wo die Menschen, wie auch andernorts in der ehemaligen DDR, die Angst vor Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung umtrieb. Für Walter Langes ehrgeiziges Ziel gab es weder eine Blaupause noch einen Leitfaden – nur den unbedingten Willen, dort anzuknüpfen, wo die Enteignung das Familienunternehmen in einen Dornröschenschlaf versetzt hatte.

 Gemeinsames Ziel: eine klassische Erscheinung von höchster Modernität

 Wie auch Ferdinand Adolph Lange erhielt er tatkräftige Unterstützung durch Menschen, die seine Vision teilten, allen voran Günter Blümlein (1943–2001). Der so charismatische wie visionäre Branchenexperte war damals Geschäftsführer einer Holding, zu der auch IWC Schaffhausen und Jaeger-LeCoultre gehörten. Diese Holding übernahm die Aktienmehrheit am neu gegründeten Unternehmen und mithilfe ihrer finanziellen Unterstützung konnten die beiden Partner die Gebäude der ehemaligen Rechenmaschinenfabrik Archimedes und des Präzisionsuhrenspezialisten Strasser & Rohde zu einer zeitgemäßen Uhrenmanufaktur mit hoher Wertschöpfung umbauen.

„Blümlein war ein Mann der Tat, aber auch ein Visionär. Er dachte langfristig, war ein hervorragender Stratege, hatte ein Händchen für Uhrendesign und das richtige Marketing“, schwärmte Walter Lange von seinem Geschäftspartner. Auch über die Art und den Charakter der neuen Kollektion herrschte Einigkeit zwischen den beiden: „Uns war von Anfang an wichtig, Uhren zu entwickeln, die in ihrer schlich­ten, klassischen Erscheinung von höchster Modernität sind.“ Und selbstverständlich erhielt Ferdinand Adolph Langes historischer Leitspruch, jede Uhr bis ins kleinste Detail zu perfektionieren, eine neue Bedeutung in der Gegenwart.

Mit dem spektakulären Großdatum der heute schon legendären LANGE 1, die mit ihrem unverkennbaren, dezentral gestalteten Zifferblatt bald das Gesicht der neuen Ära werden sollte, schlug A. Lange & Söhne geschickt eine Brücke zur sächsischen Geschichte. Gleich der berühmten Fünf-Minuten-Uhr in der Dresdner Semperoper, die von Johann Christian Friedrich Gutkaes, einst Lehrherr und später der Schwiegervater von Ferdinand Adolph Lange, entworfen wurde, realisiert sie eine mechanisch-digitale Anzeige.

 Drei weitere Zeitmesser, die ARKADE, die SAXONIA und das TOURBILLON „Pour le Mérite“, das sich mit seinem von historischen Taschenuhren inspirierten Antrieb über Kette und Schnecke auf Anhieb einen Platz in der Haute Horlogerie sicherte, wurden am 24. Oktober 1994 im Rahmen einer Pressekonferenz im Dresdner Residenzschloss präsentiert. Die Herausforderung hätte nicht größer sein können: „Der ganze, schier erdrückende Anspruch, der hinter dem weltberühmten Namen A. Lange & Söhne steht, tritt jetzt zum ersten Mal wieder öffentlich an. Nicht mehr als nur eine vage Hoffnung, auch nicht als dekorativ aufbereitete Legende, sondern als Ergebnis einer ähnlich mutigen Entscheidung, wie sie 1845 Ferdinand Adolph Lange traf, als er Glashütte zum Zentrum der deutschen Feinuhrmacherei machte“, stand in der Einladungskarte. Die Fachwelt und Liebhaber meisterlicher Uhrmacherkunst waren auf Anhieb begeistert.

In den kommenden drei Jahrzehnten setzte und setzt A. Lange & Söhne mit immer komplizierteren und raffinierteren Konstruktionen, die von den ersten Entwürfen bis zum Endprodukt in der eigenen Manufaktur von Meistern ihres Fachs gefertigt werden, neue Maßstäbe in der Feinuhrmacherei. Besonders die Produktion eigener Unruhspiralen, die Königsklasse der Komponentenherstellung, hat dem Unternehmen große Anerkennung beschert. Heute beschäftigt A. Lange & Söhne weltweit etwa 750 Menschen, mehr als 250 internationale Produktauszeichnungen und Wirtschaftspreise belegen den einzigartigen Erfolg der drei vergangenen Jahrzehnte.

 Der Name ist heute ein Synonym für meisterliche Zeitmesskunst und ein Exempel für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort. Damit erfüllte sich auch Walter Langes Wunsch, der bis zu seinem Tod am 17. Januar 2017 Botschafter und Berater der Marke blieb, den Menschen in Glashütte eine Perspektive zu geben: „Ich bin froh, dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte, die Uhrenindustrie in unserem Erzgebirgsstädtchen wiederzubeleben. Es ist schön, zu sehen, dass heute so viele Menschen in Glashütte Uhren bauen. Das macht mich glücklich.“ Dies ist für A. Lange & Söhne auch weiterhin Ansporn und Verpflichtung zugleich. Denn sich auf Lorbeeren auszuruhen, liegt nicht der Natur der Lange-Uhrmacher – ganz im Sinne des Grandseigneurs der Glashütter Renaissance: „Es gibt etwas, das sollte man nicht nur von seiner Uhr, sondern auch von sich selbst verlangen: niemals stehen zu bleiben.“

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