19
Mai
2020
|
14:15
Europe/Amsterdam

Eine wegweisende Erfindung

Vor 90 Jahren reichte Richard Lange sein wohl wichtigstes Patent ein

Die Uhrenfamilie RICHARD LANGE trägt den Namen des erstgeborenen Sohnes von Ferdinand Adolph Lange. Mit seinen zahlreichen Erfindungen, Forschungsarbeiten und Patenten trug Richard Lange wesentlich zum Ruhm der Glashütter Feinuhrmacherei bei. Seine vielleicht bedeutendste Errungenschaft war die Entdeckung, dass die Beigabe von Beryllium die Härte und damit das Biegeverhalten von Uhrenfedern optimiert. Das Patent dafür reichte er vor 90 Jahren ein.

Für Kenner und Liebhaber liegt die besondere Faszination der Glashütter Feinuhrmacherei in der Präzision und den exakt berechneten Proportionen, die den edlen Zeitmessern eine harmonische und elegante Anmutung verleihen. Von den Ziffern und Indizes über die Zeiger und Indikationen bis hin zum Gehäuse mit Lünette, dem Armband und der Schließe – der Reiz einer Uhr von A. Lange & Söhne ergibt sich aus dem Zusammenspiel vieler, zum Teil kaum sichtbarer Details.

In Bruchteilen von Millimetern aufeinander abgestimmt ist auch der feinmechanische Mikrokosmos in ihrem Inneren, ein zweites Gesicht, das sich gewissermaßen als Spiegelbild der äußeren Vollkommenheit unter dem Saphirglasboden zeigt. Eine Vielzahl winziger Komponenten fügt sich hier im perfekten Zusammenspiel aneinander. 199 sind es beispielsweise bei Kaliber L041.2 der RICHARD LANGE in Rotgold, 279 bei Kaliber L044.1 der RICHARD LANGE „Pour le Mérite“ in Weißgold mit schwarzem Zifferblatt, wobei hier die aus 636 Einzelteilen bestehende, von Hand montierte Kette nur als ein Teil gezählt wird.

Jede einzelne dieser Komponenten, von denen manche mit dem bloßen Auge kaum erkennbar sind, erfüllt ihre Funktion zuverlässig in jeder Sekunde – über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Die Spiralfeder wirkt dabei als Taktgeber dieses feinmechanischen Meisterwerks.

Aus einer temperaturkompensierenden Legierung gefertigt, bringt sie die Unruh, das Herzstück einer jeden mechanischen Uhr, zum Schwingen und ist damit maßgeblich für die Ganggenauigkeit zuständig. Ihre Maße erfordern eine gute Vorstellungskraft: Das klitzekleine Kraftpaket wiegt nicht mehr als 2,5 Milligramm und hat eine Dicke von lediglich bis zu drei hundertstel Millimetern Dicke. Kaum vorstellbar: Wird bei der Fertigung das Band um nur 0,001 Millimeter dicker oder dünner gewalzt, kann diese Ungenauigkeit eine Gangabweichung von bis zu 30 Minuten pro Tag nach sich ziehen.

Aufwendig, anspruchsvoll und sehr selten: die Herstellung der Spiralfeder

Heute zählt die Fertigung von Spiralfedern im eigenen Haus zur Königsklasse. Nur wenige Manufakturen weltweit beherrschen die notwendigen Arbeitsschritte, in denen wie früher aus einem Metalldraht mit einem Durchmesser von 0,5 Millimetern eine hauchdünne Spirale entsteht.

Zu diesem kleinen Kreis zählt A. Lange & Söhne bereits seit 2003. Zehn Jahre Entwicklungszeit wurden in das arbeitsintensive Herstellungsverfahren dieses für die Ganggenauigkeit so essenziellen Elements investiert. Heute ist die Manufaktur in der Lage, für jedes Kaliber eine individuelle, optimal auf dessen Anforderungen konzipierte Spiralfeder zu fertigen. Dabei legen die Experten die geeignete Anzahl der Windungen fest, bestimmen den richtigen Durchmesser und definieren zum Schluss die optimale Endkurve.

Diese Berechnungen zählen zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Uhrmacherei. Auch hier wird die Präzision auf die Spitze getrieben: Die Genauigkeit liegt bei einem zehntausendstel Millimeter. Mit Hilfe eines speziell entwickelten Walzverfahrens – Walzen dieser Art sind nicht handelsüblich – wird der feine Draht auf eine Höhe von etwa 0,025 Millimetern gebracht.

Doch die Fertigung der Spiralfeder ist nicht nur in verfahrenstechnischer Hinsicht komplex – für ein optimales Schwingverhalten ist vor allem das Material maßgeblich.

Uhrmacher, Wissenschaftler und Gelehrter: Richard Lange

Richard Lange, der älteste Sohn von Ferdinand Adolph Lange, war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Werkstoffkunde und der wohl erfindungsreichste Geist der Lange’schen Uhrmacherdynastie. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1875 übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder Emil das Ruder des Familienunternehmens. Während Emil sich um die kaufmännischen Belange kümmerte, war Richard für die technische Leitung zuständig. Zahlreiche Patente zeugen von seiner besonderen Kompetenz. Aus gesundheitlichen Gründen schied er zwölf Jahre später aus, war jedoch als freier Mitarbeiter, Schriftsteller und Erfinder im Hintergrund unermüdlich für die Firma tätig. Insbesondere befasste er sich intensiv mit wissenschaftlichen Fragestellungen im Bereich der Uhrentechnik, studierte Forschungsarbeiten aus anderen Disziplinen – stets darum bemüht, die Präzision und das Gangverhalten von  Taschenuhren zu verfeinern. Bis ins hohe Alter studierte, forschte und konstruierte Richard – viele weitere Patente zeugen von seinem unerschöpflichen Erfindungsreichtum.

Werkstoffkunde: Der Schlüssel zur Präzision

Unter dem Titel „Metalllegierung für Uhrenfedern“ beschrieb er im Jahr 1930 die aus seiner Sicht geeignetste Zusammensetzung für Spiralfedern. Noch heute wird der Legierung, seiner Empfehlung folgend, Beryllium zugemischt. Schon die von seinem Bruder Emil initiierte Einführung der Nickel-Stahl-Unruh kurz nach der Jahrhundertwende hatte ihm bewusst gemacht, welche wichtige Rolle die Metallurgie im Bereich der Schwingsysteme spielt. Eine Veröffentlichung der „Stahlkocher“ Krupp und Siemens, die sich Ende der 1920er Jahre intensiv mit Nickel-Eisen-Legierungen beschäftigte, erregte seine Aufmerksamkeit.

In einer 60 Seiten starken Forschungsarbeit thematisierten die Siemens-Ingenieure Georg Masing und Otto Dahl das Thema Beryllium-Nickel-Legierungen. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Zugabe eines geringen Beryllium-Anteils die Elastizität erhöht. Richard sah das große Potenzial, das diese Entdeckung auch für die Uhrenindustrie bot. Dank seiner besonderen physikalischen Eigenschaften war Beryllium prädestiniert, sowohl die Elastizität als auch die Härte der Elinvar-Spirale zu verbessern.

Richard meldete umgehend ein Patent beim Reichspatentamt unter der Nr. 529945 an. Der Patentanspruch vom 19. Februar 1930 liest sich folgendermaßen: „Metalllegierung für Uhrenfedern, dadurch gekennzeichnet, dass den aus Eisen, Kupfer, Nickel, Invar und Elinvar bestehenden Legierungen ein Zusatz von 1% bis 2/2,5% (bei Kupfer, Nickel, Elinvar-Legierungen) und zur Erzielung größerer Härte bis 6% Beryllium beigemischt wird.“ Damit hatte Lange noch vor Siemens den praktischen Nutzen der Forschungsergebnisse erkannt und genutzt.

Am 29. Oktober 1932 verstarb Richard Lange im Alter von 86 Jahren. Doch sein Vermächtnis wird heute in der ihm gewidmeten Uhrenfamilie lebendig gehalten: Die Zeitmesser mit dem Namen RICHARD LANGE lassen die Präzisionsuhr, zu deren Entwicklung er umfangreich beigetragen hatte, wieder aufleben. Mit ihrer hohen Ganggenauigkeit, guten Ablesbarkeit und verlässlichen Robustheit erfüllen sie genau die Vorgaben, die der Erfinder einst definierte.

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