01
Oktober
2021
|
09:00
Europe/Amsterdam

Die Legende bleibt unvergessen

A. Lange & Söhne erinnert an Günter Blümlein

Vor 20 Jahren, am 1. Oktober 2001, starb Günter Blümlein im Alter von nur 58 Jahren. Durch seinen frühen Tod verlor A. Lange & Söhne seinen visionären Mitgründer und die Welt einen charismatischen Unternehmer und Strategen, der die Renaissance der Uhrenindustrie am Ende des 20. Jahrhunderts maßgeblich vorangetrieben hat.

Es erfordert ein ganzes Team hochmotivierter Mitarbeiter, um eine außergewöhnliche Uhr zu entwickeln und zu fertigen. Doch es braucht auch immer einen, der von ihrer Idee überzeugt ist, der sich in den Wind stellt und sie vorantreibt. Günter Blümlein verstand es, mit Visionen zu führen. Eines seiner größten Meisterwerke war die Wiederbelebung der Marke A. Lange & Söhne zusammen mit Walter Lange – quasi aus dem Nichts. Zuvor hatte er bereits die Schweizer Uhrenmarken IWC und Jaeger-LeCoultre erfolgreich neu ausgerichtet.

Zu Recht gilt der studierte Ingenieur der Feinwerktechnik und Marketingexperte als einer der Retter der Schweizer Uhrenindustrie nach der Quarzkrise der 1970er Jahre sowie der Glashütter Feinuhrmacherei im wiedervereinigten Deutschland. Walter Lange, Neugründer von A. Lange & Söhne und Urenkel Ferdinand Adolph Langes, hatte dazu in der ihm eigenen Direktheit befunden: „Ohne Günter Blümlein gäbe es A. Lange & Söhne nicht mehr – und Glashütte wäre heute nicht wieder das Zentrum deutscher Feinuhrmacherei.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Akteuren der Branche hatte der 1943 geborene Günter Blümlein keine direkten Verbindungen zur Uhrmacherei. Kindheit und Jugend waren von den Wirtschaftswunderjahren geprägt, als seine im Krieg zerstörte Heimatstadt Nürnberg durch die Ansiedlung namhafter Industrieunternehmen einen starken Aufschwung erlebte. Das mag ihn zu einem Ingenieursstudium bewogen haben. Über den Diehl-Konzern, der in den 1950er Jahren den Uhrenhersteller Junghans übernommen hatte, führte ihn der Weg in den Schwarzwald, wo er sich als Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb einen hervorragenden Ruf erwarb.

Sein außergewöhnliches Talent konnte er auch in seiner nächsten Position unter Beweis stellen, als die spätere Mannesmann-Tochter VDO ihm die Aufgabe übertrug, die in der Holding „Les Manufactures Horlogères“ (LMH) zusammengefassten Uhrenmarken IWC und Jaeger-LeCoultre, die wie viele andere Schweizer Marken unter der Quarzkrise gelitten hatten, neu auszurichten.

Günter Blümleins Herzensangelegenheit war aber die Neubelebung von A. Lange & Söhne in enger Zusammenarbeit mit Walter Lange. Nach einer Zwangspause von mehr als vierzig Jahren ging es hier um ein vollständig neues Konzept für eine Marke, die einst durch Taschenuhren höchster Qualität berühmt geworden war, doch im Jahr 1990 nur noch als Mythos existierte. Blümlein entschied sich dafür, da anzuknüpfen, wo Lange damals schon bei Auktionen auftauchte – ganz oben, an der Spitze der Feinuhrmacherei. Die höchste Qualität der früheren Glashütter Taschenuhren sollte als Basis einer starken, auf Handarbeit ausgerichteten Marken- und Produktphilosophie dienen. Ganz im Sinne des Gründers der sächsischen Feinuhrmacherei, Ferdinand Adolph Lange, sollten die neuen Armbanduhren nützliche Innovationen mit handwerklicher Perfektion verbinden und so die Brücke von der Tradition zur Moderne schlagen.

„Eine Lange-Uhr ist ein Gesamtkunstwerk. Sie verbindet die Leidenschaft der Uhrmacher für Mechanik und Handwerkskunst mit dem unverwechselbaren Stil des Hauses und einer reichen Geschichte“, fasste Blümlein seinen konzeptionellen Ansatz zusammen. Dabei war ihm bewusst, wie schmal der Grat zwischen Triumph und Niederlage war: „Als Newcomer können wir uns überhaupt keine Schwäche leisten. Unsere Pro­dukte müssen bis ins letzte Detail stimmen“, sagte er nach der Erstpräsentation am 24. Oktober 1994. Diesem Anspruch wurden die vier ersten Lange-Armbanduhren der neuen Ära nach Ansicht der anwesenden Fachhändler, Journalisten und Ehrengäste voll und ganz gerecht. Innerhalb weniger Minuten waren die bis zu diesem Zeitpunkt fertiggestellten 123 Exemplare restlos ausverkauft.

Einige seiner strategischen Produktentscheidungen wurden zu tragenden Säulen des neuen Unternehmens. Sie zeigten sich exemplarisch in vier Modellen: Mit ihrem dezentral aufgebauten Zifferblatt, dem ersten Großdatum in einer Serienarmbanduhr und einem Doppelfederhaus repräsentierte die LANGE 1 das neue Gesicht der Marke. Die von Blümlein mitgestalteten Kampagnen kommunizierten ihre Vorzüge ebenso geistreich wie selbstbewusst. „Die Legende ist wieder Uhr geworden“ wurde zum geflügelten Wort.

Das TOURBILLON „Pour le Mérite“ mit seiner Verbindung aus Minutentourbillon und Antrieb über Kette und Schnecke erbrachte den Beweis, dass Lange von Anfang an wieder in der Liga der Haute Horlogerie mitspielte. Nie zuvor war ein solcher Mechanismus in den Dimensionen einer Armbanduhr realisiert worden.

Auf der Baselworld 1999 sorgte der DATOGRAPH für eine Sensation. Nachdem in der Branche jahrzehntelang Standard-Chronographenwerke auch von namhaften Manufakturen eingesetzt worden waren, hatte der „Newcomer“ Lange ein eigenes Chronographenwerk entwickelt, welches mit technischen Finessen wie einem exakt springenden Minutenzähler bis zu 30 Minuten und Lange-Großdatum einzigartig war.

Im DOUBLE SPLIT schließlich, dessen Präsentation Günter Blümlein nicht mehr erleben durfte, ging er zwei Schritte weiter. Dieser Zeitmesser war nicht nur der erste Rattrapante-Chronograph, der Zwischen- und Vergleichszeiten bis zu einer Dauer von 30 Minuten erlaubte. In ihm arbeitete auch erstmals die im eigenen Haus entwickelte und gefertigte Unruhspirale. Dieses Know-how garantierte die größtmögliche Freiheit in der Entwicklung neuer Uhrwerke. Es war eine der vielen vorausschauenden Entscheidungen Blümleins, von denen A. Lange & Söhne noch heute profitiert.

Auch in puncto Design ging Günter Blümlein keine Kompromisse ein. Klar und ausgewogen, mit starken Hinweisen auf die Wertigkeit feilte er mit seinem Team unermüdlich am Design neuer Modelle, an markanten Gehäuseformen und an einer ästhetischen Uhrwerksarchitektur. So überzeugend, dass Lange-Uhren nach Meinung vieler Uhrenexperten auch ohne Logo zuverlässig erkannt werden.

Mit der Neubelebung traditioneller Finish-Techniken, der Verwendung massiver Edelmetalle und dem Einsatz des von historischen Taschenuhren bekannten Neusilbers für alle Gestellteile untermauerten die Lange-Gründer, dass Fragen wie Exklusivität, Beständigkeit und Wertigkeit in allen Aspekten durchdacht worden waren.

„Günter Blümlein stellte eine in der Branche respektierte Ausnahmeerscheinung dar – denn er war beides: Realist und Visionär. Er verstand es wie kaum jemand, die Menschen, die mit ihm arbeiteten, von seinen sehr ehrgeizigen Zielen zu überzeugen und sie dafür zu begeistern.“ So fasste Walter Lange seine Erinnerung an Günter Blümlein in einem Interview zusammen. Seine Vision und seine Begeisterungsfähigkeit haben seinen Tod überdauert. Geblieben sind auch sein Streben nach äußerster Präzision, sein Gespür für Form und Qualität, sein Blick für das große Ganze und sein Sinn für die feinen Unterschiede. Sie sind nach wie vor verankert in jeder Uhr, die die Manufaktur verlässt.

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